Ganz schön schwierig mit diesen Festivals! Du glaubst, dass du endlich nach Hause angekommen bist, doch bald bist du richtig am Arsch und versuchst alles Mögliche, um deine Gedanken wieder beisammen zu haben. Wann werden die Filme aufgeladen? Wann schreibst du endlich drüber, wie’s war?
Schwierig ist es vor allem, wenn es sich um ein solches Festival geht, wie Wels, das dank der hier anwesenden KünstlerInnen weltweit als einzigartig angesehen wird. Vielleicht handelt es sich hier um eines der langlebigsten Avantgarde-Musikfestivals. In Europa wenigstens hat er sich als solches etabliert! Die Amerikaner ignorieren es ein bisschen (weniger aber die New Yorker Bühne) und finden schwieriger den eigenen Boden für solche Ereignisse, Asien ist weiterhin ein extrem fragmentiertes Creuzet (eine Ausnahme ist hier Japan und Südkorea), Afrika bleibt noch immer exotisch, Australien ist zu weit weg und lässt sich nur mono hören (viele seiner KünstlerInnen neigen eher zur Berliner Bühne) und das volkstümliche England bleibt von der Anziehungskraft der unzähligen Dixieland-Festivals eingefangen.
Kommen wir nun auf unsere Duchamps zurück. Auf dem Weg sind wir kurz in Budapest und Wien angehalten, um unsere Kameraden abzuholen und sind gegen 17,00 Uhr am Freitag, am ersten Tag des Festivals angekommen. Unterkunft, was zum Essen, ein Weißbier, fertig, das Festival beginnt im Squad des Alten Schl8hofs. Tolles Stage- und Roomdesign des Künstlers Martin Dickinger, perfekte Akustik, der Saal ist voll.
Der erste Tag, Freitag, der 5. November
Marika Hughes eröffnet das Festival mit ihrem Cellosolo. Das Projekt “Afterlife radio music”, Kompositionen von Trevor Dunn, Shahzad Ismaily, Eyvind Kang, Nasheet Waits, hat uns in eine New Yorker Märchenwelt des herbstlich-sonnigen Central Parks entführt. Die rhythmischen elektronischen Paternen klassischen Stils des XX, Jahrhunderts riefen mir Werke von Hindemith in Erinnerung.
Isabelle Duthoit & Luc Ex & Johannes Bauer haben den Auftritt des Abends angeboten: extreme Kammermusik mit drei Darstellern aus ganz unterschiedlichen Filmen. Die menschliche Stimme, die als Instrument eingesetzt wird, festigt bei mir immer wieder die Überzeugung, dass sie als perfekte Ergänzung für jegliche Tonkunst angemessen ist. Isabelle hat dies nochmals bewiesen. Die Dialoge mit der Posaune von Johannes Bauer, seine Bühnenpräsenz und Grimassen haben mir signalisiert, dass Wels angefangen hat. Luc Ex hat eine ganze Textur gesichert, worauf sich Isabelle und Johannes hervorragend gefühlt haben. Die akustischen Sandburgen des Baggers Luc, die Poetik des Sexualaktes zwischen einer Posaune und den menschlichen Schreien hat bei uns das Gefühl einer wieder gut gelungenen Ausgabe des Unlimited Festivals gestärkt.
Das Mamut-Projekt von Moe! Staiano – moekestra! -the End of an Error. Moe kannte ich vor allem aus dem Band Sleepytime Gorilla Museum, Rock in Opposition, in der Conducting-Rolle habe ich ihn bisher noch nicht erlebt. Große Überraschung: die extrem aufmerksam gestaltete Dekonstruktion des Tones. Wenn ich nicht gewusst hätte, dass eines der Drum-Sets Weasel Walter spielt, hätte ich ihm kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Das Projekt von Moe!, übrigens, im Stil von John Zorn und Butch Morris, graphically speaking! Ein äußerst schüchterner Typ wenn er nicht auf der Bühne steht, bleibt mit dem Rücken zum Publikum während des ganzen Rezitals, Moe hat seine 16 Ausführer mit eiserner Hand regiert. Fertig mit dem Irrtum, das Cartesianische System gehört allein mir, ihr seid nur einfache Ausführer, nichts ist möglich mehr. Der Ton wurde bis zu den ersten drei Repetitiven des Duos aus Beethovens Schicksal zerlegt.
Das letzte Konzert des Tages: Flugfeld. Mikrofone und Effekte direkt an den Stimmbändern, throatmusic von Helge Hinteregger. Der untere Teil des Saals wurde von Stühlen befreit, die Anwesenden brauchten Platz um sich auf die Musik einzulassen. Viel Noise, trotzdem rhythmisch ein bisschen anstrengend für mich. Sie haben mir nicht viel übermittelt, ich habe Bier getrunken. Bis um 5 Uhr morgens.
Der zweite Tag, Samstag, der 6. November
Die zweite Matinee mit großem Engagement auf hervorragenden Schauplätzen: No Sugar und Dunmall-Edwards-Corsano.
No Sugar setzt die bereits von Isabelle Duthoit angefangene Linie fort, die Stimme wird auch hier als Instrument, diesmal von Audrey Chen benutzt, dazu der perfekte Kontrabass von George Cremaschi und der einwandfreie Stil von Liz Albee. Die Leistung der Letzteren hat mich an den Minimalismus von Axel Dörner erinnert. Habt ihr übrigens gewusst, dass der eigene Dialekt von Audrey Chen dem Altenglischen aus dem XVI Jh., in welchem die Sonette von Shakespeare geschrieben worden sind auffallend ähnlich ist? Ja, Marika Hughes, wusste das; nahm ganz ihre Nadeln taktvoll in die Hand und begann zu stricken.
Dunmall-Edwards-Corsano, eines der persönlichen Highlights des Festivals. Wir ändern schnell den Schauplatz für die englische Free Jazz Portion. Ich bin überhaupt nicht enttäuscht. Ich habe sie noch nie live erlebt und konnte den Moment kaum erwarten. Ein British Free Jazz mit klassischen Stellen des Bebops und mit einem Schlagzeuger (Chris Corsano), der in der Lage ist das rhythmisch improvisatorische Spektrum auf eine extrem eigene und zugleich plenare Vortragsweise abzudecken. Und der Kontrabass von John Edwards tönte großartig. Dunmalls Cimpoi? Free, of course
Fertig mit der Jazz-Portion für heute. Der Abend näherte sich schnell.
Les sons du nuage, ein Projekt mit David Stackenas – Guitar, Sofia Jernberg – voc, Xavier Charles – Klarinette. Ich habe mir noch nie die folgende Frage gestellt: kommt es wohl zu etwas Brausendem, wenn sich zwei Wolken berühren? Die Frage haben sie mir gestellt und die Antwort hat mich überzeugt. In der Klammer soll ich nur so viel merken, dass die Herausforderung dieser Ausgabe der Einsatz der Frauenstimme als Instrument und ihr Gebrauch auf die möglichst mannigfaltigsten Weisen war. Sofia Jernberg habe ich in Nickelsdorf bei den Konfrontationen erlebt und sie hat mich nicht besonders beeindruckt. Auch diesmal ist es mir nicht gelungen herauszufinden, warum das so war. Xavier Charles kannte ich von seinen Platten her, ich kannte seine Fähigkeiten, doch in diesem Projekt hat er mir nichts Besonderes angeboten. Vielleicht war das Sattgefühl daran schuld.
Mycale, die vier Divas von Zorn mit dem “Book of Angels”, a Capella von von Anfang bis Ende. Nichts Extra im Vergleich zu den Aufnahmen, nur die tolle Bühnenpräsenz. Die Mädchen sind schön, die Harmonien überraschend, angemessene Kostüme, Zeit für ein “crazy shit” mit Jerome Noetinger.
Auf geht’s, spiel uns einen Wawo!
Radian, das deutscheste aller österreichischer Projekte, den es je her gab, mathematisch einwandfrei, Ravelsche progressive Entwicklungen, Martin Brandlmayr extrem exakt, und John Normans Elektro-Bass sichert und unterstützt die Entwicklungslinie eines reinen und kontrollierten Klanges. Eine deutsche Tortoise, hat mir die Exaktheits- und Präzisionsdosis dieses Abends angeboten. Aufmerksam bearbeitete Synkopen, nichts Neues im Vergleich zu der CD-Aufnahmen con “Chimeric”, es ist immerhin ein Vergnügen ihn zu sehen und zu hören. Höhepunkt des Abends!:)
Scarnella mit Nels Cline – Guitar, Carla Bozulich und Chris Corsano am Schlagzeug. Irgendwie kamen sie mir vorhersehbar vor und das ist nicht gut für Nels Cline und Carla Bozulich oder vielleicht manieristisch?! Hmmm, Punk-Haltung von Carla a la Pj Harvey, und ein Nels Cline, der von einer CD zur anderen unglaublich gut klingt, trotzdem mich an diesem Abend enttäuscht haben. Chris Corsano war hingegen meinen Erwartungen gewachsen. Carla war dominant und gleichzeitig vom Sound gefangen und Nels, Nels, where are you?!
Und der letzte Auftritt des Abends: QUOK. Ava Mendoza – Guitar, Weasel Walter – Schlagzeug, Tim Dahl – Bass. Totales Toben, free death Jazz und Show auf der Bühne:). Spitze Stimmung, Let’s chope that fuckin’ scene. Und sie haben es geschafft, den Boden des ehemahligen Schlachthauses zum Vibrieren gebracht, so dass man den Eindruck hatte, dass die heilige indische Kuh gerade geschlachtet würde, 110% amerikanischer Show. Die Stöcke stehen nicht normal in seinen Händen, die Art und Weise wie er die Gegenstände schlägt, die man eben nur Schlagzeuge nicht nennen kann, macht ihn zu einem beispielhaften Drummer der Gegenwartsmusik. Ava, an manchen Stellen mit Tönen a la Hendrix und die Bühnenpräsenz sind in Weasels Spiel eingegangen, und der Elektro-Bass von Tim Dahl war extrem präzise.
Die Nacht endet um 6! Der Morgen beginnt gegen 13!
Der dritte Tag, Sonntag, der 7.November
Matineen ab 14,00 Uhr:
Erstens: Ava Mendoza & Nels Cline. Guuut, wie ein Doppelespresso. In zwei Portionen. Individuell um sich dann auf derselben Bühne wieder zu finden. Ava Mendoza mit unglaublich schönen Blues-Phasen in der Richtung von Hendrix jedoch durch Eigenes gefiltert. Über Nels Cline glaube ich, dass er zur Zeit zu den most underrated Guitaristen gehört. Doch zusammen auf der Bühne haben sie einen schönen Dialog durchgeführt.
Die zweite Matinee, Carla Bozulich & Massimo Zu & Marika Hughes, Carlas Auftritt war voller Substanz und massiver als am vorigen Tag. An manchen Stellen Country style an anderen durchdringend, wieder an anderen Emo und Massimo Pupillos Textur war ein bunter Punkt in diesem Konzert.
Der letzte Abend hatte einfach einen perfekten Beginn: N.E.W: Steve Noble – drums, John Edwards – double bass, Alex Ward – guitar. British Steel – jazz manner. Energieblock, freie Kraft. Wiederum ein persönliches Highlight. Meine Erwartungen wurden weit erfüllt. Es war kaum möglich sich bei dieser Klangreise nicht zu bewegen: interstellare Explosion in einem alten Britanischen Stahlwerk, moderne Verfilmung eines Dickensschen Romans.
Und dann kam das nächste Konzert: Wolfgang Mitterer – music for checking emails. Nach 5 Minuten bin ich weg. Kein Unterschied zu den CD-Aufnahmen.
Ein Humus und ein Bier, dann zurück in den Saal!
Die Unbekannte des Festivals: das Projekt von Anthony Pateras. Pateras und Jerome, mit denen ich während der Pausen plauderte und mit denen wir dieselbe Crazy Shit teilten wie mit Burllau. thymolphthalein. Für mich war das der Höhepunkt des Festivals. Alle KünstlerInnen dieses Projekts sollen erwähnt werden: natasha anderson – contrabass recorder and electronics, will guthrie – percussion and electronics, jerome noetinger – tape machines and electronics, clayton thomas – double bass and preparations, anthony pateras – prepared piano and analogue synthesizer. Australien kann sich nicht nur der Kängurus rühmen. Es hat auch thymolphthalein. Extrem gute improvisatorische Kompositionen von Anthony Pateras. Ich bin kein großer Fan von elektronischen Eingriffen und von Scratch, doch was Jerome jetzt aufgeführt hat, hat mir einen Grund gegeben, meine Einstellung gegenüber dem Einsatz von solchen Mitteln zu revidieren. Mit einem perfekten Timing und einem akuten Gefühl für die Kompositionen waren die Eingriffe von Jerome das Gewürz dieses wunderbaren Experiments. Will Guthrie war einwandfrei, die unterschiedlichen Versuche von Clayton Thomas in verschiedenen Projekten und Kombinationen wirkten wie aus dem Stegreif, würdig eines klassischen Improvisators. Ich hätte gern die gesamte Aufnahme dieses Konzerts gehabt.
Noch etwas: Ich fühle mich geehrt, dass ich an der ersten Aufführung dieses Projekts in Europa teilnehmen konnte!
Es war über den Wolken…
Chapeau bas!
Der letzte Auftritt: chessex-pupillo-corsano. Schwieriger Eintritt. Ich habe mich schon daran gewöhnt und weiß, womit ich rechnen soll, wenn Mossimo auf der Bühne erscheint. Er hat irgendwie einen Teil des Elektrobasses wieder erfunden, gleichzeitig ist es schwierig denselben Sachen innerhalb einer solchen kurzen Zeitspanne zu folgen. Antoine Chessex konnte man kaum hören, wenn Massimo spielt, unterdrückt jeglichen Ton. Corsano hat sich aber um seine eigene Sachen gekümmert: er hat gespielt, gefalzt, deformiert.
Ungefähr das bedeutete Wels für mich, Music Unlimited indeed. Thanks WAWO!